Vor etwas über 15 Jahren hat man es noch in Kauf genommen, dass auf den ersten Smart-Phones die meisten Websites nicht besonders flüssig geladen werden konnten. Fragmente der Inhalte ruckelten in Frames vor sich hin, Wartezeiten entstanden und nur allmählich wurde der gesamte Content sichtbar. An ein „Nutzererlebnis“ oder eine Customer Journey dachte noch niemand. Das Schöne aber war, es funktionierte – und faszinierte alle: das Mobiltelefon war ein „Internet-Kommunikationsgerät“ geworden– mit wunderbarem Breitbild-Touch-Display, Webbrowser auf Desktop-Niveau und einer E-Mail-Applikation. Damals war es auch am Desktop noch ganz normal, dass die eine oder andere Anwendung so ihre Tücken aufwies und Internetseiten auf sich warten ließen. Es nervte zwar nicht selten reichlich, zumal auch die Betriebssysteme jede Menge Ärger machten und regelmäßig neu installiert werden mussten, aber Störungen und Unterbrechungen gehörten einfach dazu. Das war die übliche „User Experience“.
Diese Performance blieb eine Weile Status quo; es wurde zur Gewohnheit, dass alles zwar funktionierte, aber eben nicht immer reibungslos, manchmal sogar zeitweilig gar nicht. Störungen gehörten zum Nutzeralltag und wurden mit der Zeit oder auch schneller behoben. So haben sich etwa Desktop-Services, das klassische Monitoring und ein frühes APM mit seinen Ticket-Systemen einmal als fortschrittliches Vorgehen etabliert – vom Fehler zur Fehlermeldung über die Analyse und Lösung des Problems zurück zum reibungslosen Betrieb. Normal. Die Wartezeiten verschlangen in der Wirtschaft ein nicht zu ermessendes, ja gigantisches Quantum an Produktivität. Mittlerweile aber haben sich die Ansprüche der Unternehmen und vor allem die Erwartungen der Nutzer an Technik und Performance rapide verändert.
Generationen im Digital Flow
Die Digitalisierung des privaten Lebens und der Wirtschaft, die Entwicklung von E-Commerce und Social Media brachten einen enormen Wandel. War die Performance eine ganze Zeit lang der Maßstab für eine funktionierende IT, gilt sie mittlerweile als ganz selbstverständlich. Im Januar 2023 nutzten in Deutschland rund 71 Millionen Menschen soziale Medien, 85% der gesamten Einwohner1. Die Generation 9:16 ist „always on“: Kohorten der Generationen Z (14 bis 27 Jahre) und Y (28 bis 42 Jahre), gut 40 Millionen Menschen, sind im Vergleich zu früheren Nutzern echte „Heavy User“. Man chattet oder surft täglich mehrere Stunden.
User im Alter von 30 bis 49 Jahren gebrauchten ihr Gerät in Deutschland 2023 durchschnittlich rund 2,5 Stunden pro Tag – 18 Stunden pro Woche.2 Jugendliche zwischen 16 bis 18 Jahren, echte Digital Natives, waren etwas über 7 Stunden täglich online!3 Die User verschicken hauptsächlich Textnachrichten, Bilder und Videos über Applikationen wie WhatsApp und Telegram oder die Messenger-Dienste der Social-Media-Plattformen.4
Dabei gewinnt der Social Commerce immer mehr an Bedeutung. 2022 gaben 29% der Deutschen an, bereits über soziale Medien eingekauft zu haben – gut die Hälfte davon gehörte zur Generation Z.5 Sie nutzen die Plattformen, um anhand der Feedbacks von „Freunden“ oder Kunden ihre Kaufentscheidungen zu treffen. Spitzenreiter unter den Verkaufsräumen für das Social Selling sind Facebook, Instagram und WhatsApp. Das digitale Leben wurde mindestens für die Generation Z beinahe das reale.
Die Nutzer bedienen bei ihren Aktivitäten mittlerweile technisch erstklassig ausgestattete Smartphones mindestens mit beiden Daumen in höchster Geschwindigkeit, interagieren auf hoch performanten, überschaubaren, simpel zu bedienenden Seiten der Social-Media-Dienste, kommunizieren multimedial, vernetzen sich, bauen Beziehungen auf und bilden digitale Communities, suchen Informationen und haben meistens Spaß. Die User Experience wurde dabei zu einer Art digital flow – für Zoomer sind Unterbrechungen ihres Glücksritts beinahe ein Tabu, sei es nun durch Menschen in realen Räumen, schlecht gestaltete Seiten oder technische Probleme, letztere gelten als ganz und gar intolerabel.
Anspruch der Zoomer wird Maßstab für UX
Spätestens 2026 findet ein Generationenwechsel statt: Ab dann sind in der werberelevanten Kernzielgruppe der 18- bis 49-Jährigen die meisten aus der Gen Z.6 Deshalb müssen die Erwartungen der Zoomer an die User-Experience zum Maßstab für die Entwicklung von Websites und Online-Shops werden. Neben hohen Geschwindigkeiten werden unter anderem ein minimalistisches User Interface mit klarer Architektur und eine smarte Usability sehr wichtig – kurze Wege, wenige, aber relevante Informationen, nützliche Services, Personalisierungen und Erlebniswelten. Auch Anwendungen in Unternehmen müssen den künftigen Anforderungen der Generation Z gerecht gestaltet werden – übersichtlich, einfach zu bedienen und hoch effektiv. Zumal die Zoomer potentielle Arbeitgeber auch anhand der IT bewerten. Deren Ansprüche implizieren zuletzt ein APM, das durch KI-gestützte Observability und Security-Lösungen für einen permanent reibungslosen Betrieb sorgt, eine nahezu self-driven IT. Mit dieser Entwicklung wird auch das User Experience Management zu einer geschäftskritischen Aufgabe.
Unternehmen geeigneter Branchen müssen in den hoch frequentierten sozialen Medien in der passenden Form präsent sein und ihre nicht nur dort verlinkten Onlineshops den Erwartungen anpassen. Denn die User Experience der Angebote zahlt ganz entscheidend auf das Image oder den Markenkern ein. Eine exzellente Performance und standardisierte Designs werden für den Erfolg sicher nicht mehr genügen. Denn bereits heute haben Unternehmen aller Branchen einen deutlichen Nachholbedarf: Bisher bewertet die Generation Z laut einer Studie von KPMG die Customer Experience auf den Seiten selbst einschlägiger Marken im Durchschnitt deutlich schlechter als andere Generationen.7 Es fehlt allgemein die „ganzheitliche Kundenzentrierung“, eine Anpassung des Geschäftsmodells für eine strategische Positionierung, die „von der Marke abgeleitet und schlüssig ist“, um diese Generation mit passenden Produkten und Services zu binden.
Immerhin: „CX – Customer Experience ist im Management angekommen. Es wird als unverzichtbar gesehen, um sich erfolgreich im Markt zu behaupten,“8 schreibt 2022 Harald Henn, Partner des Instituts für Customer Experience Management (I-CEM). Die UX aber wird in der Welt des E-Commerce ein ganz wesentliches Element der CX. Zumal die Anzahl der E-Commerce-Nutzer in Deutschland stetig steigt, 2023 waren es circa 71 Millionen, der Umsatz war inflationsbedingt rückläufig, betrug dennoch rund 80 Milliarden Euro.9 Doch die durchschnittliche Warenkorbabbruchrate lag 2022 noch bei etwa 70%!10 Gründe dafür sind zum Beispiel ein fehlendes Vertrauen in die Shops, unvollständige Produktinformationen, zu hohe oder verstecke Versandkosten, vertrackte Zahlungsmethoden oder unfreundliche Checkout-Prozesse. Das Wohlbefinden wird auch gestört durch Textkathedralen, plötzliche Pop-ups oder Links auf nicht vorhandene Seiten. Ein neuer Ansatz des User-Experience Designs ist allemal gefragt.
UXOps für das UX-Design
Der Paradigmenwechsel vom Web- zum UX-Design und eine Priorisierung der Anforderungen der Generation Z findet erst allmählich statt. Technische Möglichkeiten gibt es viele, relevante Entwicklungen sind zum Beispiel „Mobile First“ und das Responsive Webdesign11. Bereits 2022 betrug der Anteil mobiler Endgeräte an allen Seitenaufrufen in Europa circa 50%. In Deutschland gibt es rund 70 Millionen Smart-Phone-User,12 während 2023 rund 92% oder rund 45 Millionen Menschen der Generationen zwischen 14 und 57 Jahren hauptsächlich mit diesen Geräten surften.13 Das Mobile UX Design sollte also mindestens im Vordergrund stehen, denn das Zoomen, Swipen und Scrollen muss reibungslos funktionieren, während Websites auf mobilen Geräten eine ähnliche Struktur, denselben Content und dasselbe Look & Feel bieten sollten wie an Desktops. Das responsive Design sorgt für eine ähnliche oder gleiche Darstellung der Inhalte von Websites auf sämtlichen Endgeräten – durch flexible Grids, flexible Schrift- und Bildgrößen sowie eine Navigationsmechanik, die sich dem jeweils eingesetzten Gerät anpasst.
Zur Gestaltung einer effektiven User Experience wird immer häufiger auch Augmented Reality eingesetzt. Die Nutzer stellen Lampen und Möbel virtuell in ihren Wohnräumen auf oder probieren Brillen an. Durch diese Gamification werden sie zeitweilig gebunden und können ihre Kaufentscheidungen sehr viel besser treffen.14 Mittlerweile kommt außerdem Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel, um wertvolle Erkenntnisse über das Verhalten und die Präferenzen von Nutzern zu gewinnen. Denn KI kann riesige Mengen an Daten nach Bedarf auswerten, um zum Beispiel aus einer Benutzerhistorie und bestimmten Bewegungen über Websites personalisierte Muster zu erstellen oder durch prädiktive Analysen wahrscheinliche Verhaltensweisen und Bedürfnisse im Voraus zu berechnen.
Unternehmen brauchen allerdings nicht einzelne relevante Lösungen, sondern einen strategischen Ansatz für das ganzheitliche Konzept einer optimalen User Experience, die anhand ihrer jeweiligen Images sowie Produkte oder Dienstleistungen auf die Zielgruppen zugeschnitten wird. Dafür müssen sie sich intern entsprechend aufstellen und ausrichten. Dymitr Romanowski von The Story, einer Agentur für Webdesign15, schlägt die Integration eines separaten Bereichs für das UX Design vor, zu dessen treffender Bezeichnung er den Passus UxOps vorgeschlagen hat. Gemeint ist ein operatives Team aus Forschern, Psychologen und Designern: Es übernimmt zum Beispiel umfassende Zielgruppen- und Nutzeranalysen, entwickelt die Journeys auf Online-Präsenzen und gestaltet deren gesamtes Design.
Es genügt allerdings nicht, ein separates UX-Team als Optimierer bestehender Lösungen in die Organisation einzugliedern. Nachträgliche Veränderungen oder Ergänzungen sind zwar recht gut und schön, doch besser ist es, wenn die Experten bereits die Konzeption und Entwicklung von Shops, Services oder Applikationen begleiten – alleine aus Sicht der User. Die ZEISS Gruppe zum Beispiel misst schon während der Entwicklung von Software deren Qualität regelmäßig anhand eines Custom Usability Index16. Er resultiert aus 13 Design-Prinzipien, anhand derer die Nutzerfreundlichkeit während des Projektverlaufs durch Tests von Prototypen regelmäßig bewertet wird, um eine optimale User oder Digital Employee Experience zu erzielen. – Unternehmen sollten künftig für die Entwicklung und Bereitstellung digitaler Präsenzen und interner Applikationen ihre DevOps-Teams um ausgewiesene Experten für die UxOps ergänzen.
Collaborative Development: DevOps meets UXOps
Die Kooperation zwischen Teams für die technische und die gestalterische Entwicklung hat bedeutende Vorteile für das Geschäft. Gute UX Designer erzielen eine relativ große Reichweite, da sie diverse Möglichkeiten ausschöpfen, um so viele User wie möglich anzusprechen. Sie verarbeiten Informationen zu Zielgruppen, beachten Markttrends, werten Nutzerdaten aus und stimmen auf dieser Basis die Gestaltung der Informationsarchitektur und einer nutzerorientierten Usability mit dem Image und den Zielen des Unternehmens ab. So entstehen zum Beispiel markengerechte übersichtliche Erlebniswelten und Produktseiten, Vertrauen schaffende Kontaktmöglichkeiten für einen soliden Kundenservice oder transparente und smarte Bezahlprozesse – eine akzeptable UX. Eine frühe Integration von UxOps-Teams in die Entwicklungsprozesse von Websites oder Software reduziert zudem Kosten. Denn sie identifizieren potenzielle Probleme mit der Nutzerfreundlichkeit vor deren Bereitstellung und entwickeln gemeinsam mit DevOps-Teams in iterativen Prozessen gute Lösungen. So werden aufwändige nachträgliche Korrekturen vermieden.
Es wird Zeit, dass Unternehmen durch eine bedarfsgerechte User Experience die Conversion-Rates auf ihren Websites deutlich steigern – und damit ihren Umsatz. Schließlich sind auch die Kinder der Generation Z schon am Start, die Alphas, mit Smart Phone und Internet schon seit der frühesten Kindheit vertraut …
Quellenverzeichnis
1 Kepios Pte. Ltd. https://datareportal-com.translate.goog/reports/digital-2023-germany?_x_tr_sl=en&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=rq
3 Jugend-Digitalstudie der Postbank 2023: https://www.presseportal.de/pm/6586/5544327
5 Die Nutzung von Social Selling und Social Commerce in Deutschland: https://www.capterra.com.de/blog/3558/social-selling-und-social-commerce-studie
6 group M. https://www.groupm.co.at/newsroom/mediennutzung-im-generationenvergleich/
7 KPMG. https://klardenker.kpmg.de/customer-insights-hub/was-die-generation-z-ausmacht/
8 Springer Professional. https://www.springerprofessional.de/wie-sales-und-marketing-von-customer-experience-profitieren/23593484
9 Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/71568/umfrage/online-umsatz-mit-waren-seit-2000/
10 ADLOCA GmbH. https://adloca.de/wissen/ecommerce-entwicklung-deutschland/
11 Ethan Marcotte. https://aneventapart.com/speakers/ethan-marcotte/
12 Statista. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/198959/umfrage/anzahl-der-smartphonenutzer-in-deutschland-seit-2010/
14 KPMG. https://klardenker.kpmg.de/customer-insights-hub/was-die-generation-z-ausmacht/
15 The Story. https://thestory.is/de/journal/ux-unternehmen-ux-forscher-vs-ux-designer/; zur Person: https://thestory.is/de/company/
16 Zeiss Group. https://blogs.zeiss.com/digital-innovation/de/usability-in-softwareentwicklungsprojekten/